Ungeplanter Kaiserschnitt: Wie Therapie dabei helfen kann, die Geburtserfahrung zu verarbeiten
Ich freue mich, dass ich in diesem Beitrag Andrea von Motherbirthblog bei mir zu Gast habe. Die Erfahrungen, die sie bei der traumatischen Geburt ihres ersten Kindes gemacht hat, gab den Impuls für ihren Blog.
Der Wunsch von Andrea ist es, dass das Thema “Schwierige Geburtserfahrungen” mehr Beachtung findet und dass wir weiter Schritte in Richtung einer positiven Geburtskultur setzen. Im Rahmen dieses Interviews berichtet sie darüber, wie sie unter anderem mit der Hilfe einer Psychotherapeutin und der Traumatherapie-Methode EMDR ihre erste Geburt verarbeiten konnte.
EMDR basiert wie Eye Movement Integration EMI und Brainspotting auf der Wirkung, die Augenbewegungen auf die Verarbeitung belastender Erinnerungen und Themen hat.
Wie betrifft dich das Thema Geburtstrauma selbst? Magst du uns ein bisschen dazu berichten?
Die Geburt meines ersten Kindes war für mich eine sehr traumatische Erfahrung , die mich lange belastet hat. Ich habe Gewalt und Bevormundung erleben müssen. Dinge, die ich mir vorher niemals habe ausmalen mögen. Hätte mir damals jemand erzählt, dass einem im Kreißsaal so etwas passieren kann, ich hätte ihn vermutlich für verrückt erklärt. Reine Fantasie. Frauen erleiden physische und psychische Gewalt unter der Geburt? In Deutschland? Niemals! Ich wurde eines besseren belehrt. Musste es am eigenen Leib erfahren. Ich wurde beschimpft, gedemütigt und massiv unter Druck gesetzt. Auch körperliche Gewalt gab es. Unter anderem wurde ich am Gebärbett fixiert, als mir brutal der Muttermund “aufmassiert” wurde. Dass man diese Vorgehensweise tatsächlich Massage nennt, finde ich grotesk, nachdem ich weiß, wie es sich anfühlt. Ich habe mich missbraucht gefühlt in dem Moment. Erniedrigt. Als ich vor Schmerzen schrie, wurde mir der Mund zugehalten und ich wurde zurechtgewiesen. Mein Mann konnte mir nicht helfen. Er wurde zum Kaffeeholen weggeschickt – wohlweislich wie mir heute bewusst ist. Der Kaiserschnitt mit Narkosevorfall, die Trennung von meinem Sohn, der auf die Kinderintensivstation kam und der vom Krankenhaus her sehr erschwerte Stillstart haben ihr übriges getan, dass ich diese Geburt als ein sehr belastendes Erlebnis empfunden habe. Pures Glück? Fehlanzeige. Was mir bis heute fehlt: das Bonding.
Welche Emotionen und Gefühle standen nach dem ungeplanten Kaiserschnitt im Vordergrund?
Ich war verunsichert. Mein Selbstwertgefühl – nicht mehr vorhanden. Ich habe gezweifelt – an mir. Wie kann ich eine gute Mutter sein, wenn ich schon bei der Geburt derart gescheitert bin? Was habe ich falsch gemacht, dass ich so behandelt wurde? Ich habe die Schuld bei mir gesucht – wie so viele andere Frauen auch – und bin nicht auf die Idee gekommen, dass ich das Opfer sein könnte. Angst war das dominierende Gefühl. Vielleicht sogar das einzige, das ich noch wahrnehmen konnte. Das Einzige, was ich noch fühlte. Ich hatte immer Angst etwas falsch zu machen. Wieder. Schon wieder. Es hat mich gelähmt. In allem was ich tat. Diese tiefgreifende Verunsicherung, die so unglaublich bohrend an meinem Selbstwertgefühl kratzte, machte mir ein normales Leben – wie ich es zuvor hatte – so gut wie unmöglich. Auch mein Körper war mir irgendwie fremd geworden. Er schien nicht mehr zu mir zu gehören. Oder wollte ich das einfach nur nicht mehr? Er hatte nicht funktioniert. Ich gab ihm Mitschuld an dem, was mir passiert ist. Aber da war noch ein Gefühl: mein Körper widerte mich an. Berührungen waren mir zuwider. Ich ertrug keine Nähe – weder emotionale noch körperliche. Mir fehlten die Worte, für das, was ich fühlte. Für das, was mir passiert war. Unaussprechlich. Niemand verstand, was wirklich mit mir los war. Ich war nicht mehr ich selbst. Ich war in meinen Grundfesten zerstört. Wusste weder ein noch aus. Verzweifelt und so unglaublich allein. Einsamkeit und Hilflosigkeit bestimmten meinen Alltag. Ich habe nur noch funktioniert. Genießen konnte ich die Zeit mit meinem Baby nicht. Das ist so schlimm. Auch jetzt noch. Es tut mir weh, wenn ich das hier schreibe. Mir wurde etwas genommen und niemand kann die Zeit zurückdrehen und es mir zurückgeben. Im Nachhinein weiß ich: Ich war schwer traumatisiert. Wie schnell hast du bemerkt, dass „etwas nicht in Ordnung ist“ und in welcher Form hast du dir „Erste Hilfe“ geholt? Ich habe relativ schnell und klar geäußert, dass ich wohl psychologische Hilfe benötige. Keiner in meinem Umfeld, in meiner Familie, wollte das wahr haben. Wollte darüber sprechen. Wollte meinen Gesprächen zuhören, in denen sich die Gedanken kreisten und doch nie zu einem Ergebnis kamen. Alle wollten einen Abschluss. Ich konnte nicht. Also sollte ich schweigen. Auch ein Abschluss. Für die anderen war damit das Thema erledigt. Für mich noch lange nicht. Jetzt kreisten die Gedanken in meinen Kopf. Für die anderen nicht mehr hörbar – für mich umso lauter. Eindringlicher. Unaushaltbar. Vielleicht passte ich mit meinen „Problemen“ auch einfach nicht in das gesellschaftlich verbreitet Bild, von einer Mutter, die fast automatisch debil lächelnd in ihrer Glückseligkeit aufgeht, sobald sie ein gesundes Kind in den Armen hält. War ich zu anspruchsvoll? Habe ich zu viel von der Geburt erwartet, zu viel von den Ärzten und Hebammen verlangt? Darf ich mich überhaupt beschweren? Habe ich ein Recht dazu? Viele Fragen gingen mir damals durch den Kopf. Ich habe natürlich auch mit meiner Nachsorgehebamme gesprochen. Sie war sehr einfühlsam und hat zugehört. Ihr Vorschlag das Bonding mit Hilfe eines Babyheilbades „nachzuholen“ hat mir und meinem Sohn auch noch 6 Wochen nach der Geburt einen Neustart ermöglicht. Wir haben mehr zueinander gefunden. Es tat so gut, aber gleichzeitig war mir bewusst, dass das nicht reichte. Die seelischen Narben waren zu tief. Es war so viel kaputt gegangen. Ich saß immer noch auf meinem Scherbenhaufen – er war jetzt zwar zusammengekehrt, aber mehr auch nicht.
An welchem Punkt wurde dir klar, dass du Begleitung von außen durch eine Therapie brauchst?
Ich habe – auf Empfehlung meiner damaligen Hebamme – insbesondere zum Thema Kaiserschnitt viele Bücher gelesen. Suchte dort Antworten auf all die Fragen, auf all die Trauer in mir. Es half bis zu einem gewissen Punkt, aber da war noch so viel mehr. So viel mehr, an das ich mich nicht allein heran traute. Ich hatte Angst damit die Büchse der Pandora zu öffnen und nicht zu wissen, wie ich mit all meinen Gefühlen umgehen sollte. Ich hatte Angst davor übermannt zu werden. Ich brauchte Begleitung für diesen Schritt. Ich wollte mich meinen eigenen Gefühlen nicht allein stellen müssen. Ich wollte aufgefangen werden. An die Hand genommen und wahrgenommen werden.
Einen Platz für Psychotherapie zu finden ist ja wirklich oft schwierig. Wie ist es dir gelungen bzw. wie war dein Weg dorthin?
Das ist tatsächlich so wie ein Sechser im Lotto. Ich hatte Glück. Unfassbares Glück. Etwa ein halbes Jahr nach der traumatischen Geburt meines Sohnes habe ich mich meinem Schmerztherapeuten anvertraut. Ein herzensguter Mensch, der einer der wenigen Ärzte ist, die ich kenne, der noch Zeit für Gespräche hat. Er hat mir zugehört. Nachgefragt. Verständnis gehabt. Ich habe mich zum ersten Mal ernst genommen gefühlt. Wirklich verstanden. Er riet mir, mich an eine Kollegin von ihm zu wenden, die mit EMDR arbeitet und ihr unbedingt ausrichten, er hätte mich geschickt. Also habe ich noch am gleichen Abend zum Telefon gegriffen und angerufen. Die Ansage auf dem Anrufbeantworter ernüchterte mich etwas: Auf unabsehbare Zeit nehme ich keine neuen Patienten mehr an. Falls Sie nicht schon bei mir in Behandlung sind, kann ich leider nichts für Sie tun. WTF!!! dachte ich und habe trotzdem auf den Anrufbeantworter gesprochen. Ihr erzählt, wer sie empfohlen hat, dass ich warten kann und ich unbedingt die Chance bekommen möchte, eine EMDR-Therapie zu machen. Ich war offensichtlich hartnäckig genug. Nach einer Wartezeit von weiteren 6 Monaten konnte ich erst einmal die Termine nutzen, die spontan von anderen Patienten abgesagt wurden. Noch nichts regelmäßiges, aber ein Anfang. Meinen „festen“ Termin hatte dann nach einem weiteren Jahr. Ich habe lange für diese Therapie kämpfen müssen… Einfach war es mit Sicherheit nicht.
Ein Teil deines Therapieprozesses war ja die Anwendung von EMDR. Einer sehr gut erforschten und sehr wirksamen Traumatherapietechnik. Wie läuft das ab und wie war das für dich?
EMDR steht für „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“, was so viel bedeutet wie: Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung. Hört sich erst einmal sehr hochgestochen und wahnsinnig kompliziert an. Eigentlich ist es aber eine simple und sehr effektive Methode dafür, die eigenen Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Denn jeder Mensch verfügt über eine natürliche Fähigkeit zur Informationsverarbeitung, mit Hilfe derer er belastende Erfahrungen verarbeiten kann. Meine Therapeutin hat mir quasi geholfen, mir selbst zu helfen. Bevor es zur EMDR-Behandlung kam, hatte ich lange und ausführliche Gespräche mit meiner Therapeutin. Habe viel geweint, viel geredet und verstanden, was genau mein Trauma ausmacht. Die eigentliche EMDR-Therapie erfolgte immer nach dem gleichen Muster: Ich musste mich gedanklich und emotional in die traumatische Situation hineinbegeben und auf einer Skala von 1-10 bewerten, wie belastend ich die Situation empfinde. Dann sollte ich mit den Augen einem Lichtpunkt folgen, der sich schnell von links nach rechts bewegt – vergleichbar mit dem REM-Schlaf. Diese Stimulation regte mein Gehirn an damit meine eigenen Selbstheilungskräfte aktiviert und die belastenden Erinnerungen verarbeitet werden können. Meist gab es mehrere kurze Sequenzen mit den Augenbewegungen. Meine Therapeutin hat mich zurückhaltend und achtsam durch meine Erinnerungen und vor allem meine dazugehörigen Emotionen geleitet. Einige Sitzungen empfand ich emotional als sehr belastend, weil vieles hochkam, von dem ich gar nichts mehr wusste… Andere haben mich endlich klarer sehen lassen. Ich habe wirklich verstanden, woher bestimmte Ängste und Emotionen rührten. Nach der Behandlung musste ich wieder auf einer Skala von 1-10 angeben, wie belastend ich die Situation jetzt empfinde. Es war immer so, dass die gefühlte emotionale Belastung stark gesunken war. Und das schon nach wenigen Minuten. Ich kann es bis heute eigentlich nicht glauben. Und das hat nicht die Therapeutin geschafft, sondern ich. Mein Kopf. Mein Gehirn. Für mich ein Wunder. Immer noch. Verschweigen möchte ich an dieser Stelle aber nicht, dass der Kopf auch an den folgenden Tagen weiter „prozessiert“ – wie meine Therapeutin es nannte -. Sie war in der Zeit rund um die Uhr für mich erreichbar. Das gab mir immer ein gutes Gefühl, auch wenn diese Tage „danach“ immer sehr anstrengend für mich und mein Umfeld waren. Ich war noch nicht wieder im Gleichgewicht. Als Fazit kann ich sagen: für mich die absolut richtige Therapie. Dass ich mir quasi selbst helfen konnte, hat mir gut getan. Mir wieder Selbstvertrauen gegeben. Zudem ist es erstaunlich wie einfach, schnell und effektiv diese Methode wirkt. Der einzige negative Punkt ist für mich, dass ich die Therapie mitunter als extrem anstrengend empfunden habe.
Du hast ja nach deiner traumatischen Geburtserfahrung noch weitere Geburten erleben dürfen. Inwieweit hat deine Vorgeschichte deine Geburtsvorbereitung und Geburtsplanung beeinflusst?
Ich wusste dadurch, dass ich nie wieder so blauäugig, uninformiert und unvorbereitet in eine Geburt hineinstolpern will, wie beim ersten Mal. Dann habe ich im Radio von Hypnobirthing gehört und wusste sofort: das ist es! Genau so möchte ich mich auf eine weitere Geburt vorbereiten. Aus meiner Erfahrung reicht es nämlich nicht, sich nur um das richtige Design des Kinderwagens oder um niedliche Babykleidung zu kümmern und die Verantwortung für die Geburt komplett in andere Hände zu legen. Eine intensive mentale Geburtsvorbereitung war für mich der Schlüssel für eine gute Geburtserfahrung. Ich habe begriffen, dass ich nicht entbunden werden muss, um ein Kind zu bekommen, sondern gebären darf. Dass ich die Verantwortung trage und nicht die Ärzte oder Hebammen. Das ich loslassen darf und trotzdem gleichzeitig die Bestimmerin bin. Dass es meine Geburt ist. Eine Geburtsplanung hatte ich tatsächlich nicht. Bei meiner VBAC (Vaginal Birth after Cesarean) war mein einziger Wunsch: Bloß nicht so wie letztes Mal!!! Bei der Geburt meines dritten Kindes im letzten Jahr, hatte ich eine Geburts-Vision – keinen Plan. Ich habe mir nichts konkretes vorgenommen und nichts ausgeschlossen. Ich habe mich darauf konzentriert, wie ich mich bei der Geburt fühlen möchte. Weil es das Gefühl ist, was am Ende in Erinnerung bleibt – nicht der Ort, nicht die Geburtsposition, nicht die perfekte Musik. Ich weiß jetzt für mich, worauf es mir ankommt und das gibt mir eine innere Zufriedenheit.
Ich danke Andrea für das Interview! Es kann sein, dass eine Mutter, die negativen Erfahrungen, die sie bei einer Geburt gemacht hat nicht vollständig mit den Möglichkeiten aus dem Bereich der Selbsthilfe aufarbeiten kann. In diesem Fall kann es sinnvoll sein, sich Hilfe von außen durch eine Therapie zu holen.
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